Sebastian Blau – Ehrenpreis

Laudatio von Uwe Zellmer

Hochgeehrter Literaturrat Huby! Geehrte Feschtgäste!

Gemeinsam haben der Preisnamensgeber, der heutige Preisträger, die zweifache Existenz, bürgerlich und unbürgerlich, Journalist und Dichter, Schreiber und Schriftsteller. Und daraus die zweifachen Namen:

Josef Eberle alias Sebastian Blau, Eberhard Hungerbühler alias Felix Huby. Gemeinsam die Nähe zu Tübingen, Rottenburg und Dettenhausen, und die Zeitungszentrale Stuttgart. Stuttgarter Zeitung respektive Spiegelredaktion daselbst. Respektable Einrichtungen mit unterschiedlichen politischen Gewichtungen. Vielleicht wurde „der Huby“, wie man ihn freundlich Schwäbisch zwischen Alb, Schönbuch und Berlin nennt, schon als Bub manchmal vom einen oder anderen Jugendfreund so gerufen, weil Eberhard ist zu lang, Hungerbühler no a bissle länger und Hardy war wahrscheinlich noch nicht bekannt beziehungsweise von Hardy Krüger besetzt.

Der Huby wollte weder Hardy heißen, noch Schauspieler werden. Er wollte schreiben und Schriftstellern. Damit wollte er sein Glück machen, und so gab er visionär dem Huby noch den Felix mit, den Glücklichen.

I will amol so sage:

Damit wollte er sein Glück machen, und das hat er auch gemacht. Dafür steht heute auch der Sebastian Blau Ehrenpreis zu Böblingen. A la bonheur, wie der Schwabe sagt.

Ja no, i will amol so sage:

Faul isch der net.

Ja, so sagt’s die Mutter Ebinger gegen die Zweifel des Vaters bezüglich einer Aufnahmeprüfung im Kepi zu Tübingen, Uhlandstraße. „Er lebt nur in seiner Phantasie, so will i sage“, sagte der Vater. I will amol so sage: Er hat seine Phantasie zum Leben gemacht und sogar zum Lebensunterhalt, einem recht ordentlichen, schwäbisch gesagt.

Nach einem Sommerurlaub in Italien, rief ich den Huby in Berlin an.

Wenn ich in Blöblingen die ultimative Lobhudelei sagen darf, sott mr sich scho no mol treffen dürfe. Der Huby sagte, er und Marielis täten Urlaub machen im Hohenlohischen, zweite Septemberhälfte. Dann könnten wir uns doch in Heidenheim zum Fußball treffen, an einem Mittwoch gegen Darmstadt. Der zu Ehrende ging ohne Umschweif darauf ein. Es war ein gutes Spiel, die Darmstädter Fans waren eine Belastung für die Zivilgesellschaft, man trennte sich 2:2. Sehr wohl hätte Heidenheim 4:2, 5:2 gewinnen können. Oh, liabs Herrgöttle vo Biberach, sie werdet scho net absteiga.

What are your favourits? Habe ich den Huby am nächsten Morgen beim Frühstück im Steinheimer Kreuz gefragt. Eins Heimatjahre, Zwei Oh Gott, Herr Pfarrer. Drei Bienzle. Danach Theater der Welt: Schwabenblues und „Georg Elser – allein gegen Hitler“.
Einmal Klöpfer und Meyer, zweimal SWR, zweimal Theater Lindenhof Melchingen. Jo, sauber.
Der Lieblingsspruch vom Huby steht gesprüht am Bahnhof von Leipzig:
Schwaben zurück nach Berlin.

Wunderbare Jahre in Berlin.

Immer wieder waren wir mittenmang. Am Mittag des Heiligen Abends im Café Grosz am Ku’damm, am Abend des Abends im Grunewald bei Marielis und Huby, mit dem „Elser“ im BE am Schiffbauerdamm, und Peymann sagt: „Mein Theater in den Bergen“ und meint damit das Theater Lindenhof in Melchingen.

Wunderbare Aufenthalte in den Bergen selbst, auf der Schwäbischen Alb, mit der ganzen Jugend des Zollern/-Alb Kreises zu Deinem 75sten „Herr Huby no a Hutzelbrot!“ Und im Hirsch in Erpfingen am Stammtisch immer wieder die Frage: muss die schöne Lau nur drei Mal oder fünf Mal lachen. Und dazu der Wein  ein kräftiger Lemberger vom Ellwanger in Winterbach“ . Öfters in Bienzle-Treue ein Trollinger vom Rotenberg. Und überhaupt der Bienzle.

I will amol so sage:

Einen Kult-Tatort aus Stuttgart mit so einer Akzeptanz wird es die nächsten 100 Jahre nicht wieder geben.
Man hat des Herrgöttle von Biberach etwas zu früh abgesetzt, wir haben den Schmerz darüber geteilt und in Trollinger ersäuft. Tröstlich die häufigen Weiderholungen in der Jetztzeit. Einer Art Buße des Senders, Hallelujah.

Buße tun müssen andere, der Huby hat sei Sach gschafft. Seine Tatorte, seine Serien, waren wegweisend. Sie haben die Republik freier und warmherziger gemacht. Und eben auch humorvoller. Dafür steht ganz besonders die Kunst des Dialekts. Der Huby hat damit in Deutschland ein Publikum erreicht, wie sonst nur der VfB Stuttgart.
Der Huby ist der maitre de dialecte de suebe. A la bonheur, cher maitre. Faul war der nie und wird es auch die vielen nächsten Jahre nicht sein. Wir sind gespannt auf weitere Werke nach dem opus magnus, der Ehrenpreis dem Huby, dem die Ehre wahrlich gebührt und Dir selber zum Achtzigsten von

Sebastian Blau:
Es geit en Spruch seit alter Zeit:
dr Schwob wird erst mit vierzge gscheit.
Dass i oar be‘ – des Kompliment,
des macht mr jeder, mo me kennt.
Onde dass e achtzge wore’be‘,
ist reacht, nao wärs nohomol so schö‘
ond s hett ens Schwarze troffe‘:
wenn mei‘ Geburtstag mi ond d Leut
tät merke‘ lao‘, i sei ab heut
mit zwoamol vierzge dopplet gscheit –
mer wöllet s Beste hoffe‘…

 

Felix Huby:
DANKESREDE FÜR DIE VERLEIHUNG DES SEBASTIAN-BLAU-EHRENPREISES

Vorweg mein Dank! Vor allem an den Verein „Schwäbische Mundart“, der auf die gute Idee gekommen ist, mir dieses Jahr den Sebastian-Blau-Ehrenpreis zu verleihen. Einen besonderen Gruß möchte ich an Trudel Wulle und Walter Schultheiß richten. Ohne euch wären wohl viele meiner schwäbischen Geschichten nicht so unters Volk gekommen. Für keinen Schauspieler habe ich so viel geschrieben wie für Walter Schultheiß. Man denke nur an „Köberle kommt“, an den Altpfarrer in „Oh Gott, Herr Pfarrer“, an den Eugen oder den Hauswirt meines Kommissars Bienzle, der in einer unvergessenen Szene seinen Mieter bat, die Treppe links rauf und rechts runter zu gehen, damit sie sich in der Mitte nicht so abnütze.

Dann danke ich natürlich dir, lieber Uwe; für deine schöne Laudatio. Uns beide verbindet eine – inzwischen kann man sagen – jahrzehntelange Freundschaft, in der es viele Auf und Abs gab. Aber wie es bei guten und haltbaren Künstlerfreundschaften ist, haben wir gemeinsam doch so manches geschaffen, was man vorzeigen kann. Ich erinnere nur an deine ganz wunderbare Inszenierung meines Stückes „Das Stuttgarter Hutzelmännlein und die Schöne Lau“ mit Schülern und professionellen Schauspielern im Theater Lindenhof zu Melchingen.

Und jetzt  – du weißt ja, dr Schwob mueß sich für älles revanschiera – also jetzt revanchier ich mich gleich: Gemeinsam mit meinem Freund Hans Münch, der übrigens zusammen mit seiner Frau Ulrike heute zu dieser Veranstaltung extra aus Berlin angereist ist, habe ich ein Buch geschrieben, das den Titel trägt „So semmer halt – Der Schwabe und die Republik.“ In diesem Buch gibt es einen wundersamen Mann, der ganz offensichtlich aus einer anderen Zeit stammt. Und dieser Mensch trifft auf seiner Reise durchs Land auch den Theatermacher und Pädagogen Uwe Zellmer. Wenn Sie Lust haben, meine Damen und Herrn, können Sie ja das – zugegeben leichte – Rätsel lösen, um wen es sich handelt.

Auf seinem Weg nach Ulm will Albert, der Reisende aus dem fernen Amerika, ein paar Tage Station auf der Schwäbischen Alb machen, um zu wandern. Er logiert in Erpfingen im „Hirsch“ und absolviert jeden Tag einen großen Spaziergang zwischen Wacholderheide und Tannenwald. Fünf Kilometer über einen kleinen Höhenrücken sind es nach Melchingen. Er hat in der Zeitung von dem Theater dort gelesen und ist nun neugierig darauf, die Menschen kennen zu lernen, die es betreiben. Aber er muss gar nicht so weit gehen. Auf dem Himmelberg, einem unbewaldeten Kegel, auf dem sich drei Strom erzeugende Windräder drehen, sieht er einen Mann auf einer Bank sitzen, einen hellen Sonnenhut auf den schwarzen Locken, die Beine übereinander geschlagen und ein rotes Heft auf den Knien, in das er ab und zu ein paar Worte schreibt. Der Mann schaut erst auf, als Albert neben der Bank anhält und leise fragt: „Ist es gestattet? Kann ich mich dazu setzen?“

Der Andere rückt ein Stück.

„Sie schreiben?“, fragt Albert.

„Bloß a paar Versle …“

„In Mundart?“

„Mhm!“

„Veigeleslyrik hat das Heinrich Heine genannt.“

Der andere nickt. „Ich weiß. Aber Spötter semmer selber, wenn’s drauf ankommt.“ Er stellt sich vor. „Uwe Zellmer. Ich hab da unten jahrelang das Theater geleitet. Jetzt bin ich nur noch Ehrenvorsitzender und die meisten nennen mich Präsident, was natürlich nix zu bedeuten hat. Zusammen mit einem Freund trete ich noch gelegentlich auf.“

Als Albert sagt, er habe von dem Theater gehört und gelesen, scheint das den anderen nicht zu verwundern. Der Fremde fährt fort: Zum Beispiel einen Text von Walter Jens, den er noch vollständig im Kopf habe. „Wissen Sie, das ist mein großes Glück: Ich kann etwas lesen und behalte es dann sofort, auch wenn es sich um längere Passagen handelt.“ Und dann zitiert er:

„Die Türen öffnen sich, Sterne leuchten über der Alb und das Heimelig-Nahe verbindet sich mit großer Welt. Salomon kehrt, wie Thaddäus Troll es erträumt hat, unter den Wacholderbüschen des Randecker Maars ein, Molière spricht schwäbisch und Aphrodite verwandelt sich in ein anmutiges Mädchen, das Mareile heißt und aus Bonlanden stammt. Wenn die Schauspieler einander die Bälle zuspielen, sind die Besucher eingeladen, an einer Inszenierung teilzunehmen, die aus einer Fülle von Verwandlungen besteht: Heiterkeit schlägt um in Tristesse, das Deftig-Grobe verschwindet in Dialogen, die von intelligentesten Schlagwechseln geprägt sind: Abreißa ond baue, flenna ond jauchze, jommera ond tanze, dahoim sei ond trotzdem Hoimweh hau. Das alles geht ineinander.“

Zellmer nickt. „Des Textle traget mir Melchinger im Herza, seitdem es gschrieba worda ischt.“ Er wir dann aber schnell wieder sachlich und fragt:  „Und was machen Sie so?“

„Schon lang nichts mehr. Was ich zu tun hatte, ist längst abgeschlossen. Jetzt bin ich nur noch Flaneur, wenn Sie so wollen. Und auf dem Weg zu meiner alten Heimat.“

„Aha“, und wo ist die?

„In Ulm. Wissen Sie, ich war sehr lange fort, aber die Stadt der Geburt hängt dem Leben als etwas ebenso Einzigartiges an wie die Herkunft von der leiblichen Mutter. Auch der Geburtsstadt verdanken wir einen Teil unseres Wesens. So gedenke ich Ulm in Dankbarkeit, da es edle künstlerische Tradition mit schlichter und gesunder Wesensart verbindet.“

„Schö g’sagt!“ Zellmer nickt voller Hochachtung.

„Und Sie?“, fragt Albert wieder, „spielen Sie denn immer noch Mundartstücke?“

„Ja freilich.“

„Und die Leute verstehen die Texte?“

„Ja, ja. Auch die, die selber nicht mehr schwäbisch schwätzen, scheinen es doch gern zu hören.“

Albert nickt. „Mir geht’s genauso. Man kann die Schwaben ja nur schwer verstehen, wenn man ihre Sprache nicht kennt. Wissen Sie, was ich mir aus der Entfernung so zusammen gereimt habe …“

„Z’ammereime ischt au a schöns Wort“, Zellmer schreibt rasch etwas in sein Heft.

„Eigentlich teilt der Schwabe seine Stammeseigentümlichkeiten mit anderen deutschen und europäischen Stämmen; typisch für ihn ist nur, dass seine Eigenschaften einen atypischen Hang zum Extremen haben.“

„Sie reden wie ein Wissenschaftler.“

„Man kann halt nicht aus seiner Haut, will sagen, man kann sein Herkommen nicht verleugnen.“ Albert lächelt und streicht sich über seinen dichten Schnauzbart. „Der Schwabe hat eigentlich wenig Schönheitssinn, er ist ohne Anmut, aber er strebt ständig nach Ordnung, weil ihn die Unordnung in seinem Wesen dauernd gefährdet.“

„Einspruch“, sagt Zellmer. „In meinem Schönheitssinn lasse ich mich von niemandem übertreffen und dass ich besonderen Wert auf Ordnung legen würde, hat mir noch keiner nachgesagt.“

„Ja, ja. Und schon sind wir wieder bei meinem Freund Hegel. Die These liegt mit der Antithese in ständigem Widerstreit. Wissen Sie eigentlich, dass Hegel zeitlebens breites Schwäbisch gesprochen hat?“

„Ja sicher. Und weil der Hegel so breit schwäbisch gschprocha hat, sagten seine Zeitgenossen nicht ohne Respekt: Der Weltgeist spricht schwäbisch. Was aber der Wahrheit auch heut noch manchmal ziemlich nahe kommt.“

Eine Weile sagt daraufhin keiner der beiden etwas. Schließlich lässt sich der Ältere hören: „‘Versöhnung der gegensätzlichen Wirklichkeit in einer großen Einheit‘ – so könnte man Hegel auf einen vernünftigen Nenner bringen. Wissen Sie, was Hegel auf den Vorwurf geantwortet hat, seine Naturphilosphie entspreche nicht den Tatsachen?“

Zellmer schüttelt den Kopf. „Nein, tut mir leid.“

„Er hat geantwortet: Umso schlimmer für die Tatsachen!“

Beide lachen.

„So kommt man von der Kunst auf die Wissenschaft“, meint Zellmer.

„Ach wissen Sie, ohne mein Geigenspiel wäre ich als Physiker vielleicht nicht so erfolgreich gewesen. Künstler oder Wissenschaftler – wir sind doch beide darauf angewiesen, dass uns die Muse küsst. Und beide haben wir das Problem, uns verständlich zu machen.“

„Und wie machen Sie das?“, will Zellmer wissen.

„Man sucht ja immer nach Beispielen, um eine wissenschaftliche Erkenntnis zu erklären. Wenn wir bei Hegels philosophischem System bleiben, da gefällt mir, was ein schwäbischer Fahrer einer Straßenwalze dem Ingenieur geantwortet hat, der fragte, ob es zweckmäßiger sei, eine schwere oder eine leichtere Dampfwalze zu verwenden. Der Fahrer sagte: „Da fahre mr am beschte mit der schwera ganz leicht drüber.“

Zellmer nickt. „Und wissen Sie, was ein Melchinger zu seiner Frau gesagt hat, als er an einem strahlenden Sommertag auf dem Belchen aus seinem Auto gestiegen ist.

„Hmm?“, machte Albert fragend.

„Da isches so schö, da müsste mr au amol na!“

„Schön!“ Albert erhob sich. „Ich muss weiter.“

„Und was mussten Sie als Wissenschaftler erklären?“

„Die Relativitätstheorie.“

Aha, und wie macht man das?“

„Na ja, am besten auch mit einem Beispiel: „Wenn man zwei Stunden lang mit einem Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Relativität.“

Zellmer war leicht verwirrt. „Heißt das, Sie sind der …?

„Das heißt gar nichts“, unterbrach ihn der andere. „Und ich glaube auch nicht, dass meine Zuhörer mich verstanden haben. Wissen Sie: Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Er griff nach seinem Stock. „Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit Ihrem Theater weiter so erfolgreich sind.“

Zellmer breitete die Arme aus. „Talent bleibt latent!“, sagt unser Landsmann Friedrich Theodor Vischer.

Sie haben sicher sofort erraten, wer der aus Ulm stammende Amerikaner war, meine Damen und Herrn.

Natürlich haben wir uns in dem besagten Buch auch immer wieder Gedanken über die Wirkung unseres Dialektes gemacht. Und so sind wir auch auf die Tatsache gestoßen, dass manchmal schwäbelnde Menschen auf ihre Gesprächspartner so wirken, als wären sie von Natur aus beschränkt. Das ist meistens gewollt und hat den – oft willkommenen – Nebeneffekt, dass man sie unterschätzt. Mit seiner Art zu reden relativiert der Schwabe gleich von vornherein klare Aussagen, und das fordert vor allem unsichere Gegner leicht zu einer Überheblichkeit heraus, in der sie sich am Ende selber fangen. Das kann durchaus Methode haben und zu unerwarteten Erfolgen führen. Nicht umsonst findet man – dank dieser seltenen Gabe – viele Schwaben in Politik und Wirtschaft.

Als Erhard Eppler, kluger Vordenker der SPD und unter Willy Brandt Entwicklungshilfeminister, von Ulrich Kienzle gefragt wurde: „Was ist schwäbisch für Sie?“, antwortete er: „Schwäbisch ist für mich der Begriff ‚hälinga g’scheid‘.“ Dies sei ein schwer zu übersetzender Begriff, der aber beschreibe, „dass es Schwaben gibt, die sich ganz blöd anstellen – und doch außerordentlich intelligent sind. Die vieles durchschauen, was man ihnen gar nicht zutraut. Und die manchmal die norddeutschen Schnellschwätzer für ziemlich dumme Hunde halten, aber das nicht sagen. Sondern in sich hinein lächeln.“ Sie bleiben halt gerne im Ungefähren, die Schwaben.

Das zeigt sich etwa im folgenden Dialog:

„Wie gohts au so?“

„I ka net klage. Ond selber?“

„’S könnt besser sei. Aber was soll’s – ma wird et jünger, gell!“

„Do hent Se Recht: Des schönschte Gras wird au bloß Heu!“

Überhaupt lieben Schwaben blumige Vergleiche. Wenn sie über einen sagen wollen, dass er zu nichts zu gebrauchen ist, heißt es: „Der hot zwoi linke Händ – und die no in dr rechta Hosatasch!“ Und

wenn’s einmal nicht so geht wie man es erhofft hat, wenn man einsehen muss, dass man nicht immer gewinnen kann, wenn man merkt, dass es Dinge gibt, auf die man eben keinen Einfluss mehr hat, dann sagt der Schwabe in demütiger Einsicht: „Mr kann halt net älle Berg ebe mache!“

Thaddäus Troll legte immer Wert darauf, dass Schwäbisch keine Mundart, kein verschlamptes Hochdeutsch sei, sondern „eine Sprache mit eigenem Wortschatz und eigener Grammatik, die sich auch in ihren Gefühlsinhalten völlig von der Hochsprache unterscheidet.“ Schwäbisch sei differenzierter, oft präziser, bildhafter und klarer als das so genannte Schriftdeutsch, und er bedauerte es, dass es von so wenigen Dichtern und Philosophen gebraucht wurde und wird. Denn: „Die Hochsprache ist nicht denkbar ohne eine lebendige Fühlung mit, ohne eine ständige Erneuerung durch den Dialekt. Sie würde sonst umkippen wie ein Gewässer ohne Sauerstoff.“

Die Präzision des Dialekts zeigt sich oft auch in dem, was man nicht sagt. Die folgende kleine Anekdote mag wohl stimmen: Zwei Schwaben unterhalten sich über einen dritten, nachdem sie vom Stammtisch aufgebrochen sind. „Du“, sagt der eine, „der Gottlob hat ja praktisch da ganze Obend nix gschwätzt!“

„Ja“, erwidert der andere: „Mr ka sich gut mit ihm unterhalte.“

Man kann in Böblingen oder Backnang in ein Taxi einsteigen und den Fahrer bitten, zum Flughafen oder in die Stuttgarter Innenstadt zu fahren, der verzieht (wenn es ein Schwabe ist und nicht ein Türke oder Kroate) keine Miene. Ein Berliner Taxifahrer würde bei so einer Strecke vor Freude im Viereck springen. Von dem Schwaben kann man hören: „Ja des au no! Jetzt han i grad zom Nachtesse hoim wella.“

Trotzdem fährt er natürlich. Den Verdienst will er schon mitnehmen. Unterwegs kann es dann zu einer etwas einseitigen Unterhaltung kommen. „Also no fahre mr halt.“ „Jetzetle goht’s ronder von dr Autobahn!“ „Du Saudackel“ (aber das gilt nicht dem Fahrgast, sondern einem anderen Autofahrer). Und schließlich: „Sodele. Do semmer.“

So viel Platz wiederzugeben, was ein Berliner Taxifahrer auf so einer Strecke geredet hätte, haben wir hier leider nicht.

Die kleine Taxi-Geschichte illustriert den wesentlichen Unterschied zwischen Schwaben und Berlinern: Die Schwaben reden langsam und schaffen schnell, und bei den Berlinern ist es genau umgekehrt. Oder, um es mit Helmut Pfisterer zu sagen: „Wer ons Schwoba für maulfaul hält, hot ons no nia veschpera sehe!“

Ein Stuttgarter, der in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts nach Berlin gezogen ist, erzählt: (Also hier kann ich `s ja zugeben, ich habe die folgende Geschichte selbst erlebt.) „Wir hatten eine sehr schöne Wohnung in Steglitz gefunden. Die musste aber noch renoviert werden. Als wir mit dem Möbelwagen ankamen, funktionierte das meiste ganz ordentlich, nur das Klo war noch nicht eingebaut. Zufällig war der Installateur im Haus. Ich habe ihn sofort darauf angesprochen. ,Keen Problem‘, sagte der, ,det mach ick Ihnen doch ratzfatz!‘ Wie wäre das wohl in Schwaben gewesen?

Vielleicht denkt jetzt der Eine oder Andere, der hätt’ statt ,ratzfatz‘ bloß ,ruckzuck‘ gesagt.

Nein! Der hätt gsagt: ,Ja brauchet Sie des?? Deshalb fahr i doch nicht extra da her. Da ist doch nix dran verdient. Könnet Sie ned bei Ihre Nachbarn solang aufs Klo gange, bis mr sowieso wieder amal en dr Gegend ischt …“

Aber der Schwabe wäre dann doch in den nächsten zwei, drei Tagen gekommen und hätte das Klo, wenn auch maulend, montiert!

Bei dem Berliner Installateur hat’s noch ein Vierteljahr gedauert, und jedes Mal, wenn die Kunden angefragt haben, hat er gesagt: „Keen Problem, mach ick Ihnen sofort, in een, zwee Tagen haben Sie det Ding!“

Je weiter man von zu Hause weg ist, umso deutlicher kann man erkennen, was den Schwaben so „oige“, aber auch so liebenswert macht. Ein in Berlin lebender Schwabe, der bei einem Besuch in Stuttgart, einer alten Gewohnheit folgend, beim „Stetter“ einkehrte, erzählt: „Am Nebentisch saßen zwei alte Männer – was hoißt alt? Männer halt in meinem Alter. Die hent in ihre Viertelesgläser neiguckt, wie d’Zeit vergeht. Und ab und zu hat auch einer was g’sagt. Sie haben dann über einen abwesenden Bekannten gesprochen. ‚Du, domm ischt der fei net’, hat der eine gesagt. Dann ist sehr viel Zeit vergangen. Die zwoi hent vor sich hinguckt, a paar Schlückle gnomme, und schließlich sagte der andere: ‚Aber g’scheit ischer au net!‘“

Danach haben die zwei über ihre Krankheiten diskutiert. „Was willscht mache. I werd halt alt!“, sagte der eine, worauf der andere antwortete: „Ja, ja. Lang lebe wellat älle, bloß et alt werde. A bissle astrenge muss mr sich scho! Guck mi an. Ich leb vernünftig, kein fettes Essen, ich gehe regelmäßig spaziere, trinke keinen Alkohol, bloß nachem Essa a Schnäpsle ond obends drei, vier Viertele. Wenn i so weiter mach, werd i no achtzig!“

Sagt sein Nachbar: „Sag doch neunzig, no bischt net so em Zeitdruck!“

Lassen Sie uns noch einmal zu dem Zeitreisenden Albert Einstein zurückkehren, dessen Zitate in meinem kleinen Text übrigens lauter Originalzitate von ihm sind, wie er sie zu seinen Lebzeiten von sich gegeben hat.

Gerade noch rechtzeitig erreichte Albert sein Flugzeug Richtung New York. Bei klarem Himmel zog die Maschine eine Kurve über Stuttgart und dem Neckartal. Albert spürte ein leises Ziehen in der Herzgrube. Heimweh vielleicht, bevor er seine alte Heimat ganz verlassen hatte? Eine Liedzeile fiel ihm ein: „Ich möchte am liebsten fortgehn und bliebe am liebsten hier.“ Er lächelte. Es gab ja auch das Gegenteil: „Dahoim sei ond trotzdem Jomer hau“, lautete ein alter schwäbischer Satz aus seiner Kindheit in Ulm. Fast gleichzeitig erinnerte er sich an einen Spruch, den er in Berlin aufgeschnappt hatte, ehe er damals Deutschland verlassen musste: „Langsam jetanzt ist ooch jetrauert!“ Er lächelte der Stewardess zu, die ihm in diesem Augenblick einen Kaffee servierte. Mehr zu sich selbst sagte er: „Was weiß der Fisch von dem Wasser, in dem er schwimmt?“

„Wie bitte?“ Die junge Frau lachte kurz auf.

Albert winkte ab. „Das habe ich vor langer Zeit mal geschrieben.“

Die Stewardess fragte:

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, wenn Sie irgendwelche Fragen haben …“

Er unterbrach sie: „Wissen Sie, früher hatte ich auf jede Frage eine Antwort. Heute habe ich nur noch Fragen. Allerdings habe ich früher schon immer gesagt: ‚Das schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle‘.“

Die Stewardess sah ihm leicht befremdet in die Augen. Dann sagte sie auf einmal: „Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“

„Ja, das passiert mir gelegentlich“, antwortete der freundliche alte Herr. „Aber der, an den Sie denken, lebt schon lange nicht mehr. Nur manchmal schaut er noch mal vorbei, um zu sehen, was sich geändert hat.“

„Und?“, fragte die Stewardess.

„Heute machen die Menschen andere Fehler als damals. Aber eins ist schön“, er wies zum Fenster und auf die kleiner werdende Landschaft hinab. „Dieses Land hat seit beinahe 70 Jahren Frieden. Wann hat es das je gegeben?“

Die junge Frau nickte. „Sie haben Recht. Aber darüber habe ich noch nie nachgedacht.“

„Umso besser, wenn der Frieden zur Selbstverständlichkeit wird. Und was ist da ein kleiner Streit, sagen wir, zwischen den Badenern und den Württembergern oder, von mir aus auch zwischen den Berlinern und den Schwaben?“

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