Clara Zetkin und ihre Söhne
Nach den Romanen „Die Kerners“ und „Die Schubartin“, die ich gemeinsam mit Hartwin Gromes geschrieben haben, folgt nun in dieser Reihe der historische Roman „Clara Zetkin und ihre Söhne.“
Wer sich genauer für das Thema interessiert wie wir, kann hier schon einmal den Entwurf lesen:
Die Hauptfiguren des historischen Familienromans sind Clara Zetkin (1857 – 1933) und ihre Söhne Maxim (1883 – 1965) und Kostja (1885 – 1980) und andere Personen wie Claras Freundin und Kostjas Geliebte Rosa Luxemburg (1871 – 1919), Ossip Zetkin (1853 – 1889), Claras Lebensgefährte und Vater der Söhne, Georg Friedrich Zundel (1875 – 1948), der Maler und Ehemann Claras, und viele andere.
Die Schauplätze des Romans sind von 1882 Paris, Leipzig, Stuttgart, Berlin, Moskau bis zum Tode Claras am 20. Juni 1933 und danach ab den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wiederum Moskau, Prag, Paris, Ost-Berlin und Halfmoon Bay in Kanada bis zum Tod Kostja Zetkins 1980.
So umfasst der Roman ein ganzes Jahrhundert und in diesem Jahrhundert am Beispiel der Familie Zetkin auch die Geschichte der linken Arbeiterbewegung und die Tragödie ihres Untergangs im Nationalsozialismus und im sowjetischen Stalinismus. Clara Zetkin ist Teil und Mitgestalterin dieser Geschichte, aber auch Teil der Frauenbewegung, der sie den 8. März, den Internationalen Frauentag geschenkt hat.
Aber der Roman ist natürlich keine historische Dokumentation, sondern handelt von Menschen und spielt unter Menschen in prekären Zeiten.
Der Roman beginnt in Paris, dem Ort der Emigration von deutschen und russischen Sozialisten. Clara Eißner, die Tochter eines Dorflehrers und der Tochter eines napoleonischen Offiziers, Josephine Vitale, wurde selber Lehrerin, traf in Leipzig den russischen Sozialrevolutionär aus bester Odessaer Familie Ossip Zetkin, dem sie nach Erlass der Bismarckschen Sozialistengesetze
nach Paris in die Emigration folgte. Die beiden heirateten zwar nicht, aber Clara nahm für ihr ganzes weiteres Leben den Familiennamen Zetkin an. Der erste Ort ist somit Paris, wo die wachsende Familie in bitterster Armut lebte und sich mit Übersetzungen, Claras Deutschstunden und Putzstellen mühsam bis zum frühen Tod Ossips durchschlug. Clara unternimmt die ersten Schritte als Funktionärin der in Deutschland verbotenen Sozialdemokraten, lernt Eleanor, die jüngste Tochter von Karl Marx, und Friedrich Engels kennen und hält am 19. Juli 1889 ihre erste große Rede zur Lage der Arbeiterinnen auf dem Gründungskongress der II. (sozialistischen) Internationale. Während der Pariser Emigration reist sie auch illegal nach Leipzig, wo ihre Mutter lebt.
Der nächste Ort der Zetkins ist Stuttgart bzw. Sillenbuch bei Stuttgart. Durch Vermittlung wird Clara 1891 Chefredakteurin der ersten sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Gleichheit“, die der Stuttgarter Verleger Dietz herausgibt. In Stuttgart freundet sie sich u. a. mit dem Hausnachbarn, dem sozial gesinnten Unternehmer Bosch und dem sozialistischen Theoretiker Karl Kautsky an. Ihre Söhne besuchen das Karls-Gymnasium. Sie macht Karriere in der SPD, lernt 1896 den jungen begabten Maler Friedrich Zundel kennen und lieben, den sie 1899 heiratet. (Die Ehe geht schon Ende des Ersten Weltkriegs auseinander, aber Clara willigt erst 1928 in die Scheidung ein. Zundel heiratet ein Jahr später Paula, die Tochter des Unternehmers Bosch, mit der er schon seit 1920 zusammenlebt.) Das Ehepaar Zundel-Zetkin zieht in ein eigenes, von Zundel entworfenes Haus nach Sillenbuch, das zum Zentrum für Begegnungen wird. So kommen auch Lenin und Rosa Luxemburg, mit der sie eine enge Freundschaft unterhält, zu Besuch.
Rosa Luxemburg beginnt 1907 ein Verhältnis mit Clara Zetkins Sohn Kostja, das zwar 1909 endet, aber nicht als freundschaftliche Beziehung. Die amour fou zwischen den beiden, dokumentiert in über 600 erhaltenen Liebesbriefen Rosas, ist nicht einfach, einmal wegen der Moralvorstellungen der Zeit, aber auch weil Rosas Lebensgefährte bis dahin, Leo Jogiches, extrem eifersüchtig ist und zudem gewalttätig wird.
1902 geht Claras Sohn Maxim zum Medizinstudium nach München, 1907 Kostja nach Berlin, wo er erst Nationalökonomie und später auch Medizin studiert.
Der Beginn des Ersten Weltkriegs überschattet das persönliche, aber auch das politische Leben der Zetkins. Die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD
führt zum Bruch mit der Partei. Der Pazifist Zundel meldet sich, wenn auch nur zum Sanitätsdienst freiwillig zum Militär, was Clara sehr befremdet. Die Mediziner Kostja und Maxim werden eingezogen. Beide werden das EK verliehen bekommen. Maxim trennt sich 1916, Clara 1917 von der SPD. 1919 tritt sie, nachdem sie vorübergehend in der USPD war und ihr deswegen die Redaktion der „Gleichheit“ entzogen wurde, in die KPD ein und wird ein Jahr später Reichstagsabgeordnete, was sie bis 1933 bleibt. Maxim heiratet in erster Ehe Claras Sekretärin Hanna Buchheim. Ihr gemeinsamer Sohn Wolfgang wird als Soldat der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg in Russland fallen. Die Trennung Zundels von Clara kündigt sich an. Rosa Luxemburg, die trennungserfahrene Freundin, redet ihr zu, den jungen Mann freizugeben, aber die alternde Frau braucht noch zehn Jahre, bis sie Zundel wirklich gehen lässt.
Der Krieg ist zu Ende. In Russland haben die Bolschewiken um Claras vertrauten Freund Wladimir Iljitsch Lenin (1870 – 1924) gesiegt. 1921 reisen Clara, ihr Sohn Maxim und ihre Sekretärin Hanna Buchheim als Kopf einer Delegation von fünf KP-Funktionären zum ersten Mal nach Moskau. Moskau wird Claras zweite Heimat werden und Maxims erste. Sie wohnen im später so berühmt-berüchtigten „Hotel Lux“, werden bespitzelt und telefonisch abgehört. Clara trifft auch Trotzki. Da Hanna Buchheim nicht für immer in der Sowjetunion leben will, scheitert ihre Ehe mit Maxim. Maxim wird diese Ehe und seinen aus der Ehe hervorgegangenen Sohn in keinem seiner späteren Fragebögen und Lebensläufe erwähnen.
In den Zwanzigerjahren macht Maxim Karriere als Chirurg in der Sowjetunion – er lebt dort von 1922 bis 1945 und wird 1924 Mitglied der KPdSU – und heiratet Emilia Milowidowa, die aus ihrer Ehe mit einem im Bürgerkrieg gefallenen Rotarmisten, die Tochter Henriette (gen. Kotik) mitbringt. „Mila“ kommt aus einer gutbürgerlichen Familie, ist eine ausgezeichnete Pianistin und hat vor dem Krieg in Leipzig studiert. Sie ist eine spätere Lenin-Biografin und mit der Herausgabe von Claras Schriften in Moskau auf Deutsch befasst. Kostja, der ja auch Nationalökonomie studiert hat, wird in intellektuellen deutschen linken Kreisen aktiv (u.a. Georg Lukácz, Karl August und Rosa Wittfogel, Karl Korsch, Felix Weil), aus denen sich später das berühmte Frankfurter Institut für Sozialforschung entwickeln wird. Er, der Clara schon bei ihrer Arbeit bei der „Gleichheit“ assistierte, begleitet seine Mutter auch als „technischer Mitarbeiter“ in ihrer Berliner Zeit als Reichstagsabgeordnete. Verheiratet ist er mit Nadja von Massow, Witwe eines zaristischen Offiziers mit zwei Kindern, von deren späterem Geschick man praktisch nichts weiß. Clara
wiederum verkauft nach der Trennung von Zundel das Haus in Sillenbuch und zieht in ein Haus nach Berlin Birkenwerder. Viele Reisen führen sie zu Tagungen und Kongressen in die Sowjetunion und ins westliche Ausland.
Clara Zetkins Rolle in der KPD ist nicht immer einfach, sie gerät in die Flügelkämpfe der Partei, die in den Dreißigerjahren oft einen tödlichen Verlauf nehmen. Nach dem Tod von Lenin (1924) bleibt als enge Freundin dessen Witwe Nadeshda Krupskaja (1869 – 1939). Zu Stalin ist das Verhältnis gespannt. Clara ist auch verwickelt in den unseligen Kampf der KPD gegen ihren „Hauptfeind“ die „Sozialfaschisten“, wie die Sozialdemokraten diffamiert werden, statt gegen die Nazis.
Anfang der Dreißigerjahre lebt Clara Zetkin praktisch in der UdSSR, teils in Moskau, teils auf Kur im Kaukasus, am Ende im Kurort Archangelskoje bei Moskau. Einen großen Auftritt hat sie noch einmal am 30. August 1932, als sie als Alterspräsidentin um 15 Uhr die konstituierende Sitzung des Reichstags in Berlin eröffnet. Bei den Wahlen hatte die KPD 89 Abgeordnete, die NSDAP 230 und die von beiden verteufelte SPD 133 Sitze erhalten. Die Reise von Moskau nach Berlin ist abenteuerlich. Die alte, schwer kranke, praktisch blinde Frau fährt, begleitet vom Sohn und Arzt Maxim, mit der Bahn bis zur deutschen Grenze. Von dort wird sie im PKW auf Umwegen nach Berlin gebracht, damit ihre Ankunft in den Rechtskreisen nicht bekannt wird. Nach ihrem spektakulären Auftritt blieb sie noch einige Wochen in Deutschland, bevor sie nach Archangelskoje zurückkehrte. Sie stirbt am 20. Juni 1933 und ihre Urne wird zwei Tage später an der Kreml-Mauer beigesetzt. Getragen wird die Urne u.a. von Josef Stalin und Wjatscheslaw Molotow, begleitet wird er Zug von angeblich 600000 Moskauern, nachdem im Saal des Gewerkschaftshauses am Tag und in der Nacht zuvor angeblich 400000 Werktätige vorbeimarschiert sind.
Um Clara Zetkins Nachlass und die Redaktion von ausgewählten Werken entfaltet sich viel Streit, in dessen Folge Kostja wohl 1935 aus der UdSSR in die Tschechoslowakei ausreiste. (Er selbst spricht in einem Brief schon vom Herbst 1933.) Nadja verschwand in den Dreißigerjahren verurteilt in den sowjetischen Lagern. Über ihr Schicksal ist (bisher) nichts herauszubekommen. Kostja lernte seine zweite Frau Gertrud Bardenhewer (1893 – 1981) kennen, eine Ärztin aus Uerdingen, die wie Kostja in Berlin studiert hatte und als Militärärztin im 1. Weltkrieg war. Sie heirateten 1935 in der Tschechoslowakei und emigrierten nach dem Einmarsch der Nazis 1938 nach Paris. (Gertrud wiederum hatte von dem Worpsweder Künstler Otto Tetjus Tügel (1892 – 1973) den Sohn Lukas, der
1939 in die britische Armee eintrat.) Ursprünglich wollten sie in die Schweiz ziehen, Kostja befürchtete aber, dort in die Hände nazistischer oder sowjetischer Agenten zu geraten. In Frankreich hatte Kostja keine Zulassung als Arzt und schlug sich als Masseur und Krankenpfleger und später als Landarbeiter durch. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich, wurde Kostja 1940 vom Vichy-Regime interniert. Gertrud bekam ihn mit dem Hinweis frei, dass man einen Sohn Clara Zetkins doch nicht einsperren könne. Sie blieben bis 1945 im ländlichen Teil Frankreichs und emigrierten nach Kriegsende in die USA.
Maxim ist es erst nach langem Bemühen ab 1924 möglich, in der Sowjetunion auch ärztlich-chirurgisch tätig zu werden, bis 1927 ist er auch Mitglied des Moskauer Stadtsowjets. Bei Aufenthalten seiner Mutter in der UdSSR begleitet er sie oft als Sekretär. So sind sie etwa 1925 mit Bahn, Wolgadampfer und Auto über 6000 km unterwegs. 1930 wird er an die Chirurgische Klinik des 2. Moskauer Medizinischen Instituts als Erster Oberassistent berufen. Von seinem freiwilligen Einsatz als Major des Sanitätsdienstes im spanischen Bürgerkrieg wird er, ohne Angabe von Gründen, schon nach einem halben Jahr nach Moskau zurückberufen. Im Krieg war er zu Beginn mit deutschsprachigen Rundfunksendungen in Kuibyschew, später als beratender Chirurg tätig, erst in Moskau, dann in Baku, Tbilissi, Sotschi und wieder in Moskau, wo er für die dortigen Gewerkschafts-Kriegslazarette mit 20000 Betten verantwortlich war: „Ich habe nichts erlebt, was nicht Millionen miterlebt haben. Höchstens könnte ich anführen, dass ich drei Kriege als Chirurg mitgemacht habe.“
Die Wege der Brüder trennen sich weiter nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Maxim wird am 15. November 1945 nach Ost-Berlin berufen. Er übernimmt die Funktion als 1. Vizepräsident der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen in der SBZ. Er war für Kader- und Organisationsfragen zuständig. 1947 wird er Professor an der Humboldt-Universität und leitet ab 1950 die Hauptabteilung Wissenschaft und Forschung im neugebildeten Ministerium für Gesundheitswesen der DDR. Seine bedeutendste Publikation ist das „Wörterbuch der Medizin“, der später berühmte „Zetkin-Schaldach“, das erstmals 1956 erscheint. Er stirbt, wenige Tage nach seiner Frau Emilia Zetkin-Milowidowa, am 19. August 1965 in Berlin.
Kostja geht mit seiner Frau Gertrud Bardenhewer 1945 in die USA. Dort werden sie als Kommunisten misstrauisch beäugt. Erstmal konnten sie, die ausgebildeten Ärzte, nur auf einer Milchfarm Arbeit finden, später als Sanitäter in einer Art psychiatrischer Institution. Unter der McCarthy-Verfolgung war es für eine medizinische Karriere nicht gerade förderlich, dass Bruder Maxim nicht nur die stalinistischen Säuberungen überstanden hatte, sondern auch
noch führend im Gesundheitswesen der DDR tätig war. 1957 ging Kostja in den Ruhestand und Gertrud und er übersiedelten ein letztes Mal in ein Haus, das Gertruds Schwester gehörte, an die kanadische Westküste in die Halfmoon Bay. Im September 1980 starb Kostja Zetkin 95jährig. Seine Frau folgte ihm im Januar 1981.
Im Herbst dieses Jahres werden wir uns an die Ausarbeitung machen. Hartwin Gromes hat mittlerweile ungeheuer viel Material zusammengetragen, vieles davon ist bislang nicht allgemein bekannt.
Wir freuen uns sehr auf die gemeinsame Arbeit.